Im Projekt "Stadt auf Probe – Wohnen und Arbeiten in Görlitz" konnten Interessierte den Wohn- und Arbeitsstandort Görlitz für vier Wochen ausprobieren. Dazu standen ihnen eine Probewohnung und ein Probearbeitsraum zur Verfügung. Ein gut vernetzter Ansprechpartner unterstützte die Probebewohner/-innen bei der Kontaktaufnahme und Netzwerkbildung vor Ort. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitstudie konnten die Teilnehmenden über ihre Wünsche und Anforderungen an einen Wohn- und Arbeitsstandort sowie ihre Erfahrungen vor Ort berichten.

Das Projekt

Im Rahmen des Projektes wurden für einen begrenzten Zeitraum ein kostenfreies Probewohnen und Probearbeiten in der Stadt Görlitz angeboten. Das Projekt konzentrierte sich dabei auf Menschen, die standortungebunden sind, z. B. freiberuflich in der Kreativwirtschaft arbeiten. Sie sollten für die Stadt Görlitz als Wohn- und Arbeitsstandort begeistert werden. Interessierte aus der genannten Zielgruppe bekamen für einen Zeitraum von vier Wochen jeweils kostenfrei eine Probewohnung sowie einen Probearbeitsraum zur Verfügung gestellt, um ihrer standortungebundenen Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Die wissenschaftliche Begleitforschung erfasste und untersuchte Wünsche und Erfahrungen der Probebewohner/-innen mit Blick auf Empfehlungen für die künftige Stadtentwicklung in Görlitz.

Neben Wohn- und Arbeitsräumen bietete das Projekt Einblicke und Kontakte in die vorhandenen Netzwerke der Kreativwirtschaft von Stadt und Region. Durch eine zielgerichtete Unterstützung konnte der Aufenthalt somit intensiv genutzt werden, um sich mit Umzugsgedanken in die Stadt Görlitz auseinander zu setzen.

Von Januar 2019 bis Juni 2020 konnten jeweils drei Haushalte für je vier Wochen Görlitz kennenlernen. Es standen Zwei- und Dreiraum-Wohnungen in einem Gründerzeit-Quartier in der Innenstadt zur Verfügung. Als Arbeitsraum konnten Büro-, Werkstatt- oder Ausstellungsräume genutzt werden.

Der Anlass

Die Stadt Görlitz bietet eine große und breit gefächerte Palette an Wohn- und Arbeitsräumen zu moderaten Preisen, ein attraktives Umfeld durch ein breites Kulturangebot, ein historisches Stadtbild, bereits vorhandene Netzwerke der Kreativwirtschaft, ein internationales Umfeld durch die Grenzlage zu Polen sowie ein positives Image („Görliwood“, „Schönste Stadt Deutschlands“, „Europastadt“). Gleichzeitig ist sie, trotz der immensen Erfolge in der Stadtsanierung und einer Stabilisierung der Einwohnerzahl, weiterhin von den Folgen des demografischen Wandels und des wirtschaftlichen Strukturwandels betroffen und sucht nach Strategien der langfristigen Revitalisierung insbesondere der historischen Innenstadt sowie zahlreicher Industrie- und Gewerbebrachen.

Die Stadt Görlitz steht stellvertretend für zahlreiche Mittelstädte in Deutschland mit ähnlichen Herausforderungen. Während sie aufgrund von tiefgreifenden Umwandlungsprozessen in den letzten Jahren einen immensen Bevölkerungsverlust erfahren haben, erfreuen sich seit Mitte der 2000er-Jahre Großstädte und Großstadtregionen großer Beliebtheit. Doch hier werden verstärkt Überlastungseffekte deutlich, die steigenden Bevölkerungszahlen führen zu einer zunehmenden Anspannung auf dem Wohnungs- und Gewerbeflächenmarkt sowie zu höheren Verkehrs- und Umweltbelastungen.

Im Projekt „Stadt auf Probe – Wohnen und Arbeiten in Görlitz“ sollte ein Ansatz entwickelt werden, wie die Potenziale einer Mittelstadt genutzt und gefördert werden, damit Gegenentwürfe zu Abwanderung, Leerstand und einem weiteren Bedeutungsverlust der Städte entstehen können. Es stellt sich die Frage, welches Potenzial für eine Revitalisierung insbesondere peripher gelegenen Mittelstädten zukommt, die jedoch mit günstigen weichen Standortfaktoren ausgestattet sind. Unter welchen Bedingungen kann sich aus den genannten Trends der Stadtentwicklung in Deutschland eine Renaissance der Mittelstädte ergeben? Mit welchen Ansätzen kann die nationale Stadtentwicklungspolitik dieses Potenzial stärken und nutzen?

Zum Hintergrund

Für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung unter den Bedingungen des demografischen Wandels bedarf es attraktiver Wohn- und Arbeitsbedingungen, um langfristig junge und gut ausgebildete Menschen für eine Stadt zu gewinnen. Diese Bevölkerungsgruppe steht dabei im Fokus, um zu einer längerfristigen Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung sowie zu einer Transformation zu einer nachhaltigen und tragfähigen Stadtentwicklung zu gelangen.

Der Kreativwirtschaft wird für die Stadtentwicklung ein besonderes Potenzial zugesprochen. Die Branche ermöglicht jungen und gut ausgebildeten Menschen Erwerbs- und Verwirklichungspotenziale und kann gleichzeitig zur Bereicherung des Stadtlebens und damit wiederum zu einer Steigerung der Attraktivität von kleineren Städten sowie zum Kommen und Bleiben jüngerer und gut ausgebildeter Menschen beitragen.

Durch die angespannten Immobilienmärkte in Ballungsräumen, die auch zu einer Verdrängung kreativer Milieus führen, gewinnen Städte mit entspannten Märkten für Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie mit unkonventionellen Raumangeboten (z. B. leerstehende Fabrikhallen) an Attraktivität für diese Bevölkerungsgruppen.

Veränderungen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt sowie die Heterogenisierung der Lebensstile und Erwerbsbiographien ermöglichen und bedürfen neue/r Arbeitsmodelle, die die bestehenden Arbeitsformen ergänzen. Standortungebundene Erwerbstätigkeit, die Kombination von Arbeiten und Wohnen sowie flexibles Arbeiten gewinnen zunehmend an Bedeutung.


Fördermittelgeber und Projektpartner

Das Projekt wurde im Rahmen der "Nationalen Stadtentwicklungspolitik" vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gefördert. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), vertreten durch das in Görlitz ansässige Interdisziplinäre Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) setzte das Projekt gemeinsam mit den Partnern KommWohnen Service GmbH, dem Amt für Stadtentwicklung der Stadt Görlitz sowie den Görlitzer Initiativen KoLABORacja e. V., Kühlhaus e. V. und Wildwuchs e. V. um. Weitere lokale Initiativen und Netzwerke unterstützten das Vorhaben.